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Kalkar – Leben im Risiko – vom Schnellen Brüter zum zentralen Militärstandort
(PDF Versionen des Beitrags finden sich am Ende dieses Textes).
Das Städtchen am Unterrhein wurde bundesweit bekannt, als in den 1970er Jahren in seiner Nähe mit dem Bau des „Schneller Brüter“-Atomkraftwerks begonnen wurde. Denn in den folgenden Jahren protestierten Zehntausende dagegen. Das AKW war ein „Gemeinschaftsprojekt von Deutschland, Belgien sowie den Niederlanden und wurde 1985 fertiggestellt, ging jedoch nie in Betrieb. Wegen sicherheitstechnischer und politischer Bedenken wurde das Projekt 1991 eingestellt.“ (Wikipedia)
Seit 2012 demonstrieren erneut hunderte, manchmal tausende Menschen Jahr für Jahr in Kalkar.
Was ist der Grund?
Kalkar ist seit 2005 der Standort des Joint Air Power Competence Center of Excellence -JAPCC- der NATO. Und in Üdem nahe Kalkar sind der NATO-Gefechtsstand zur Führung von Luftstreitkräften, sowie das Zentrum Luftoperationen -ZLO- und das Weltraumkommando der Bundeswehr angesiedelt. Beide Militäreinheiten arbeiten eng zusammen.
Anlässlich der Friedensdemonstration am 3. Oktober 2022 vor dem Standort der ZLO in Üdem sagte Bernhard Trautvetter vom Essener Friedensforum:
„Wir schlagen Alarm an einem der Zentren der Militärs für den Krieg im 21. Jahrhundert, in das bisher alles in allem eine dreistellige Millionensumme an Steuergeldern geflossen ist. Bis zum Ende des Jahrzehnts sind schon weitere 200 Millionen Euro veranschlagt. Die Gesamtsumme erreicht damit circa eine halbe Milliarde. Der Doppelstandort Kalkar/Uedem ist über die Steuerung, Kontrolle und Kommandoführung für Tornados an Völkerrechtsbrüchen von Nato-Militärs in Syrien und Irak beteiligt. Und er kooperiert mit den Diktatoren in Katar, wo Personal des Standortes Kalkar/Uedem im Luftstreitkräftehauptquartier Dienst verrichtet. Derweil verkaufen die Ampel-Regierung und die meinungsführende Propaganda die Nato der Öffentlichkeit als Kraft einer sogenannten regelbasierten Ordnung, als Friedensfaktor der Demokratie und humanitären Außenpolitik. Damit lähmen die den Widerstand der Menschen dagegen, dass wie hier Milliarden in die Zerstörung des Lebens fließen und nicht in die Lebendigkeit der Welt.“ (Link zur Aufzeichnung der Rede 2022).
Das JAPCC ist als Luftleitzentrale der NATO zuständig für das Gebiet von den Alpen bis zum Nordkap, von Island bis ans östliche Ende des NATO Bereichs und weiter. Aber nicht nur. Wie in allen NATO Exzellenzzentren werden hier Ideen für die Entwicklung des Militärapparates vorangetrieben. (zu den Exzellenzzentren der NATO und den JAPCC Konferenzen siehe die Kästen, zum Lesen bitte anklicken)
Dazu heißt es in der Selbstdarstellung, „dass das JAPCC bei der Entwicklung von Ideen nicht durch die Notwendigkeit eines Konsenses oder durch politische Zweckmäßigkeit eingeschränkt wird. Es kann den NATO-Hauptquartieren und den nationalen politischen Entscheidungsgremien unabhängige militärische Beratung für das gesamte Spektrum der Luft- und Weltraummacht anbieten. Unser Auftrag und unsere Vision: Wir sind der Katalysator der NATO für die Verbesserung und Umgestaltung der gemeinsamen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte und liefern durch unabhängige Überlegungen und Analysen wirksame Lösungen.“ Es wird von Experten aus 14 NATO Staaten unterstützt.
Der Direktor des JAPCC, ein US-amerikanischer Viersternegeneral, ist zugleich Befehlshaber des NATO Allied Air Command in Ramstein sowie Befehlshaber der US-Luftstreitkräfte in Europa und Afrika. Sein Stellvertreter, ein deutscher Dreisternegeneral, ist zugleich Kommandeur des Zentrum Luftoperationen und im Wechsel mit einem belgischen General für jeweils drei Jahre Kommandeur des NATO-Gefechtsstandes zur Führung von Luftstreitkräften in Uedem (Combined Air Operations Centre Uedem); er führt die Dienstgeschäfte vor Ort im JAPCC.
Während die jeweils im Februar stattfindende „Münchner Sicherheitskonferenz“ als Treffen von Militärs, Politikern und Rüstungsindustrie gut bekannt ist, wissen nur wenige von den ebenfalls jährlichen Strategiekonferenzen des JAPCC in der Essener Messe (früher in Kleve). Dort versammelt sich aus denselben Milieus wie in München ein handverlesener Kreis von mehr als 200 Teilnehmern zu strategischen Beratungen (zu den Konferenzthemen siehe Kästen, zum Lesen bitte anklicken).
Praktischer Nutzen des JAPCC Excellence Centers
In seiner Rede bei der Demonstration in Kalkar 2014 zeigte Bernhard Trautvetter vom Essener Friedensforum an mehreren Beispielen, welche Bedeutung das JAPCC und seine Konferenzen bereits in der NATO Politik erlangt haben.
(Link zur Zusammenfassung der Rede 2014 – Link zur gesammten Rede 2014).
(Link zur Zusammenfassung der Rede 2014 – Link zur gesammten Rede 2014).
2012 ging man zum Thema „Warfare in the 21th Century“ - Kriegsführung im 21. Jahrhundert – von diesem Gedanken aus: die seit dem Ende des kalten Krieges 1990 andauernde Annahme, dass es keinen bedeutenden Krieg (major war) in Europa mehr geben werde, diese Annahme sei anzuzweifeln. Das JAPCC nahm ganz im Gegenteil an, dass es „in nächster Zeit“ zu einem großen Krieg kommen wird.
Angesichts der Erweiterung der NATO um zwölf Staaten in Mittel- und Osteuropa ging man davon aus, dass Russland einer Erweiterung um die Ukraine oder Georgien nicht tatenlos zusieht. Die Furcht Russlands war durch NATO Manöver 2008 in der Ukraine ebenso geschürt, wie durch den Versuch, ukrainische Streitkräfte in die KFOR im Kosovo einzubinden.
Nachdem die Lage in der Ukraine 2014 in einen Bürgerkrieg eskaliert worden war, sagte sich die Bevölkerung der Krim in einem als völkerrechtswidrig angesehenen Referendum von der Ukraine los und beantragte die Aufnahme in die Russische Föderation.
Das kommentierte der Chef der „Münchner Sicherheitskonferenz“ Ischinger damit, Russland habe „durch sein Vorgehen eine feindschaftliche Atmosphäre in die EU und die europäische Gesamtpolitik zurückgebracht.“ Dagegen müsse man sich zur Wehr setzen.
Beim NATO Treffen 2014 in Wales wurde folgerichtig beschlossen, „flexible Response“ Kräfte der Luftwaffe in die östlichen Mitgliedsländer zu verlegen, als Zeichen „gegen den Aggressionstrieb des russischen Bären“.
Die Leitzentrale für diese Einsätze ist das JAPCC in Kalkar.
Die JAPCC Konferenzen – Leitfaden zur Militarisierung
Wie bereits oben erläutert, ist die jährliche Konferenz des JAPCC in der Messe Essen das herausragende Treffen zur Strategieentwicklung der NATO. Die handverlesenen Teilnehmer sind hochrangige Militärs, Politiker, Wissenschaftler und Experten aus der Rüstungsindustrie.
Zu den Sponsoren der Konferenzen zählen regelmäßig der weltgrößte Atomrüstungskonzern ‚Lockheed Martin‘ - der die Bombenflugzeuge für den Nuklearkrieg und Hyperschall-Waffen für den Überraschungsangriff produziert, der Kampfdrohnenproduzent ‚General Atomics‘, der Produzent atomar bestückter Lenkflügelraketen ‚Raytheon Systems‘ (alle aus den USA), sowie der französische Atomrüstungskonzern Thales, Airbus Defense und das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt - das u.a. mit Messerschmidt und der NASA kooperiert, so etwa bei der Drohnenrüstung.
Wohin die Überlegungen der Konferenzteilnehmer gehen, zeigen meist schon die Ankündigungen zu den Konferenzen (siehe Kästen, zum Lesen bitte anklicken). Sie lesen sich wie ein Leitfaden der Militarisierung der Politik – gerade auch in Deutschland und der EU.
Wer über „Kriegsführung im 21. Jahrhundert“ diskutiert, wer einen nuklearen Krieg in Europa führbar machen will, wer Waffeneinsätze automatisieren und die Entscheidung über den Einsatz „Künstlicher Intelligenz“ überlassen will – und und und – in dessen Denken ist nur noch Platz für die Durchsetzung der eigenen Interessen mit möglichst wenig eigenen Verlusten.
Das ist desaströs in Zeiten weltweiter Krisen, die eine vorbehaltlose internationale Zusammenarbeit erfordern.
Dazu braucht es auch in der Politik und der Bevölkerung Mehrheiten, die von der Notwendigkeit militärischer Stärke überzeugt sind. Weil es daran angeblich mangelte, wurden auf der 2015er Konferenz Konzepte der „Strategischen Kommunikation“ entwickelt, um das Ansehen von Militär in Medien und Öffentlichkeit positiv zu wenden. Das hat schon lange vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine große Breschen in die Kriegsunwilligkeit der Bevölkerung in Deutschland geschlagen.
Ginge es nach den Vorstellungen der Militärstrategen, würde die Militarisierung von Politik so weitergehen. In den Ausführungen klingt das oft harmlos und logisch. In der Konsequenz aber führt uns die in diesem Denken vorherrschende Logik in eine hochgefährliche Eskalationsspirale.
Abschließend sei zur Verdeutlichung ausführlich aus der Einleitung des Moderators der diesjährigen Konferenz – Bruce Hargrave – zitiert.
18. Konferenz 2022 - militärische Antworten auf die ‚Großmächte-Rivalität'
Es besteht heute kaum ein Zweifel daran, dass wir in einer Zeit des erneuten globalen Wettbewerbs zwischen den großen Staatsmächten leben. Das bedeutet auch, dass wir in einem potenziell extrem gefährlichen Zeitalter leben. In letzter Zeit haben wir einigen der sogenannten 'Großmächte' wenig zu verdanken. China hat uns (wenn auch höchstwahrscheinlich zufällig) eine Pest in Form des Covid-19-Virus gebracht. Russland hat uns (mit Sicherheit absichtlich) den Krieg in der Ukraine beschert. Nicht einmal ein Viertel des Weges ins 21. Jahrhundert, und schon scheinen wir zwei der biblischen 'vier Reiter der Apokalypse' ertragen zu haben (und werden dies möglicherweise weiterhin ertragen). Vor diesem abschreckenden Hintergrund wird die JAPCC-Konferenz 2022 stattfinden.
Am ersten Tag der JAPCC-Konferenz im vergangenen Jahr hörten wir, dass die NATO in den mehr als siebzig Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und mehr als dreißig Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges eine 'zwingende Funktion' finden musste, um die nationalen Regierungen zur Einsicht zu bewegen, dass die Bedrohungen unserer demokratischen Lebensweise nicht verschwunden waren. Einer der Hauptredner drückte seine (und die aller anderen) aufrichtige Hoffnung aus, dass es nicht ein weiterer Krieg sein würde, der diese 'Zwangsfunktion' erfüllt. Leider erweist sich der Krieg auf dem europäischen Kontinent einmal mehr als starke Motivation für Regierungen, robuste Maßnahmen zur Abschreckung und Verteidigung zu ergreifen.
Einzelne Nato-Staaten sowie die EU und die UNO müssen mehr oder weniger damit beginnen, den Ukrainern die Hilfe zu leisten, die sie so dringend benötigen. In unserem Umgang mit und unserer Wahrnehmung Russlands vor der Invasion der Ukraine haben sich jedoch viele von uns, einschließlich vieler unserer politischen Führer, als – bestenfalls – naiv entlarvt. Im schlimmsten Fall könnten manche sogar sagen, als Mittäter.
Es ist außerordentlich zeitgemäß, dass die JAPCC-Konferenz plant, einige unserer klügsten Köpfe und hochrangigen Entscheidungsträger zusammenzubringen, um darüber nachzudenken, wie die NATO ihre Luft- und Raumfahrtmacht in diesem Zeitalter des globalen Wettbewerbs stärken könnte. Zusammen mit unseren Hauptrednern werden die vier Konferenzpanels die breitere geopolitische Situation und die Auswirkungen, die dies auf unsere Sicherheit hat, erörtern. Die Referenten und Podiumsteilnehmer werden analysieren, welche Konsequenzen dieses neue Umfeld für Abschreckung und Verteidigung mit sich bringt und was dies für die Verteidigungs- und Einsatzplanung sowie für die agile, domänenübergreifende Führung sowohl aus verteidigungstechnischer als auch aus industrieller Sicht bedeutet.
Das traditionelle DIME-Modell – diplomatisch, informativ, militärisch und wirtschaftlich – erinnert uns daran, dass militärische Macht nicht getrennt von den anderen Machtinstrumenten steht. Wir müssen nur an Europas Abhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferungen denken, um die Komplexität der Fehlkalkulationen zu erkennen, die Putins Entscheidung, in die Ukraine einzumarschieren, ermutigt haben könnten. Dabei dürfen die umfassenden Anforderungen an Verteidigung und Sicherheit nicht außer Acht gelassen werden. Wenn die Abschreckung fehlschlägt, wird die effektive Verteidigung des NATO-Territoriums von unseren Streitkräften, ihrer effektiven Führung und Kontrolle sowie von umfassender Widerstandsfähigkeit in den Bereichen Weltraum und Cyber abhängen. Darüber hinaus ist sich die NATO bewusst, dass eine umfassende Resilienz auch die Sicherstellung der Verfügbarkeit lebenswichtiger staatlicher und wirtschaftlicher Funktionen und die fortgesetzte Nutzung des UMS umfassen muss.
Die einführenden Artikel für die Konferenz, sind das Ergebnis eines 'Call for Papers', der kurz nach der letztjährigen Konferenz veröffentlicht wurde. Nicht alle beziehen sich direkt auf Joint Air and Space Power. Sie sind jedoch alle relevant für eine Diskussion über das künftige Sicherheitsumfeld und seine Folgen für die Haltung der NATO, die Einsatzbereitschaft und die Rolle der Luft- und Raumfahrtmacht in diesem Umfeld. Sie erläutern den für diese Konferenz gewählten Begriff des 'globalen Wettbewerbs' und gehen auf die Prinzipien des Großmachtwettbewerbs ein. Des weiteren analysieren sie die Verbindungen und gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Weltraum und Cyberspace-Domänen, verweisen auf einige interessante Ähnlichkeiten zwischen Schwellenwerten in diesen Domänen und schlagen vor, wie die Abschreckung im Weltraum durch eine reaktionsfähige Weltraumarchitektur sichergestellt werden könnte.
Künstliche Intelligenz (KI) und die Gefahren, sie als Allheilmittel zur Überwindung der Informations und Datenflut zu sehen, wurde bereits auf der Konferenz 2021 angesprochen. Einer unserer Artikel wird daher eine Perspektive auf „menschlich verbesserte“ KI bieten, um das Verständnis zu ermög-lichen und Entscheidungsvorteile zu erzielen. Ein anderer Autor macht uns darauf aufmerksam, dass wir mit Adversarial Machine Learning rechnen müssen und gibt eine sehr gut begründete Warnung ab. Die Verwaltung von Einsatzdaten in einer „Combat Cloud“ kann effektive Unterstützung in Szenarien bieten, in denen Kräfte und Fähigkeiten domänenübergreifend operieren. Als Reaktion auf die besonderen Herausforderungen, denen wir in und durch diesen Bereich begeg-nen, muss dringend über die Suche nach Grundsätzen für die sichere gemeinsame Nutzung von Cyberwaffen und -fähigkeiten nachgedacht werden.
Der Erfolg der JAPCC-Konferenz 2021 war zu einem nicht geringen Teil auf die Beharrlichkeit aller Teilnehmer unter schwierigen Umständen zurückzuführen. Wir leben in schwierigen Zeiten, aber die Bemühungen aller, zusammenzukommen um Handlungsoptionen für die Zukunft zu diskutieren, zu analysieren und zu formulieren, werden dafür sorgen, dass die Konferenz 2022 ebenso lohnend wird.
(Ende des Zitats)